Unser künftig Brot: Die Trans­for­mation auf dem Esstisch?

Du bist, was du isst. Der Wertewandel auf den Tellern und technologische Innovationen eröffnen Nahrungsmittelproduzenten faszinierende neue Möglichkeiten der Wertschöpfung – Veränderungen mit disruptivem Potenzial inklusive. Aber was macht für Mensch und Umwelt wirklich Sinn?

Wertewandel in der Ernährung und technologische Innovationen eröffnen faszinierende neue Möglichkeiten der Wertschöpfung

Veganer Beyond Meat Burger oder Omas krosser Schweinebraten? Milch von mehr oder minder glücklichen Kühen oder aus (hoffentlich emotionslosen) Soja- und Haferpflanzen? Hippe Superfoods vom anderen Ende der Welt oder weniger cooles, aber ebenso nahrhaftes Grünzeug von der heimischen Scholle? Öko-Kleinbauer oder Agrar-Industrie? Die Zeiten, als es beim Essen schlicht um Sättigung und unbeschwerten Genuss ging, scheinen vorbei zu sein – zumindest in der westlichen Wohlstands-Hemisphäre. Die persönliche Speisekarte wird zum Gegenstand von Weltanschauungen und differenzierten Wertvorstellungen. Dabei bestimmen gesundheitsbewusste Selbstoptimierung sowie ökologische, klimatische und ethische correctness zunehmend das Menü.

Fleischkonsum steht in der Kritik wegen seiner negativen Auswirkungen auf Umwelt und Gesunheit

Weiteressen wie bisher?

Keine Frage: Wenn die Menschheit den Planeten und sich selbst nicht kaputtessen will, wird sich die Art und Weise, wie wir uns ernähren und wie unsere Nahrungsmittel erzeugt werden, fundamental ändern müssen. Einige Fakten:

  • Laut der Vereinten Nationen (UN) ist die weltweite Nahrungsmittelproduktion bereits heute für 30% der vom Menschen verursachten Treibhausgas-Emissionen, 40% der Landnutzung und 70% des Wasserverbrauchs verantwortlich. Knapp die Hälfte davon geht auf das Konto der Erzeugung tierischer Produkte, bei der Landnutzung sogar fast drei Viertel – obwohl tierische Produkte weniger als 20% zur Kalorienversorgung der Menschheit beitragen.
  • Insbesondere die konventionelle, mit industriellen Methoden arbeitende Landwirtschaft steht aufgrund ihrer negativen Auswirkungen auf Mensch, Tier und Umwelt seit langem in der Kritik. Ist sie für die Versorgung der Welt notwendig? Es gibt Zweifel.
  • Bis 2050, so die UN, muss die globale Nahrungsmittelproduktion um bis zu 60% steigen, um die wachsende Weltbevölkerung zu ernähren und die steigenden Bedürfnisse der stetig größer werdenden Mittelschicht in Entwicklungs- und Schwellenländern zu befriedigen. Allerdings: Würden Nutzpflanzen ausschließlich für den menschlichen Verzehr und nicht als Tierfutter oder Basis für Biokraftstoffe angebaut, könnten bereits heute vier Milliarden Menschen zusätzlich ernährt werden.
  • Während weltweit über 800 Millionen Menschen hungern, geht ein Drittel aller produzierten Nahrungsmittel verloren oder landet im Müll.
  • Fast zwei Milliarden Menschen sind übergewichtig. Kalorien-, fett- und zuckerreiche, hochverarbeitete Lebensmittel gelten als Hauptverursacher der rapiden Gewichtszunahme insbesondere in Schwellenländern. Ernährungsbedingte Wohlstandskrankheiten wie Diabetes Typ 2 sind auf dem Vormarsch.
Kulturwandel in der Ernährung - vegan, gesund, biologisch

Biologisch, vegetarisch, gesund und nachhaltig: die Werte des Wandels.

Nun sind Fakten, die ein bestimmtes Verhalten nahelegen, das eine. Eine tatsächliche Verhaltensänderung häufig etwas anderes. Gewohnheiten, insbesondere liebgewonnene, halten sich hartnäckig. Und manchmal endet der Wertewandel an der Supermarktkasse – nämlich dann, wenn Einsichten und Überzeugungen auf den Geldbeutel zu schlagen drohen. Dennoch spricht einiges dafür, dass in Sachen Ernährung in den kommenden Jahren wenig bleibt, wie es ist – vor allem in den wohlhabenden Industrienationen. Einige Trends mit teilweise disruptivem Potenzial:

Bio wird normal(er).

Das belegt nicht nur ein Blick in die Regale der Supermärkte und Discounter, sondern auch auf die nackten Zahlen. Der globale Markt für biologisch erzeugte Lebensmittel ist zuletzt auf knapp 100 Milliarden US-Dollar pro Jahr gewachsen mit zweistelligen Wachstumsraten in einzelnen Ländern. In Deutschland, einem der weltweit wichtigsten Märkte für Bio-Produkte, sind Tierwohl und Umweltschutz, regionale Erzeugung, geringe Schadstoffbelastung, Gesundheit und persönliches Wohlbefinden wesentliche Gründe, weshalb Menschen zu Bio-Ware greifen.

Goodbye, Rindersteak.

Bis 2040 soll der weiter steigende Fleischbedarf zu 60% durch Fleisch aus dem Labor und Ersatzprodukte auf pflanzlicher Basis gedeckt werden  – ein prognostizierter 450-Milliarden-Dollar-Markt allein für vegane Fleischalternativen. Vegetarismus und Veganismus fristen nicht länger ein Nischendasein. Fleischlos oder gleich vegan zu leben, ist cool. Es will etwas heißen, wenn selbst Arnold Schwarzenegger seinen Proteinbedarf neuerdings nicht mehr aus dem Stall, sondern vom Acker deckt. Dagegen sind Bio-Käufer fast schon langweilige Normalos, obwohl sie ähnliche Werte und Motive wie Veganer haben.

Die (Kuh-) Milch macht’s nicht mehr.

Hafer-, Soja-, Mandelmilch & Co. schicken sich an, der 400 Milliarden US-Dollar schweren Milch-Industrie das Leben schwer zu machen. Die Kuhmilch teilt das Schicksal des Steaks: Als wirklich wertvoll gelten beide immer seltener. Strenge Kritiker betrachten Milchprodukte schlicht als schädlich, und im Expertenstreit um rotes Fleisch dürften die Befürworter des ungehemmten Steak-Genusses das Nachsehen haben.

Hauptsache, gesund.

Der globale Markt für Lebensmittel, die Gesundheit und Wellness versprechen, wächst kontinuierlich – auf demnächst 800 Milliarden US-Dollar jährlich. Superfoods sind in. Über 90% der Deutschen geben an, dass ihnen gesundes Essen wichtig oder sehr wichtig ist – auch wenn das Ernährungsverhalten gelegentlich den proklamierten Wertvorstellungen widerspricht. So ist beispielsweise der Zuckerkonsum in Deutschland seit Jahren auf hohem Niveau weitgehend unverändert.

Millennials essen und leben anders.

Nämlich gesünder, nachhaltiger, klimaschonender und irgendwie „bewusster“. Das meinen zumindest die Autoren des UBS-Reports „The food revolution“.  Immerhin: Die Wahlerfolge grüner Parteien in Europa stützen sich vor allem auf die jüngeren Bevölkerungsgruppen. Umfragen legen nahe, dass die Generationen Y und Z die Protagonisten eines Werte- und Kulturwandels sein könnten – Greta lässt grüßen. Umwelt- und Klimaschutz sind ihnen demnach sehr wichtig (allerdings auch die Möglichkeit, viel zu reisen), ebenso die soziale und ökologische correctness von Unternehmen. Ob diese vorgebliche Haltung immer konsumentscheidend ist, steht allerdings auf einem anderen Blatt.

Nahrungsmittelproduktion wird Hightech.

Roboter auf den Äckern, Drohnen über den Feldern, Fleisch aus dem Reagenzglas, genetisch maßgeschneidertes Saatgut, personalisiertes Essen, digitalisierte Lieferketten: Technologische, häufig digitale Innovationen versprechen eine effizientere, ressourcen- und klimaschonende Nahrungsmittelproduktion – und neue Geschäftsfelder, deren Marktpotenzial die UBS auf 700 Milliarden US-Dollar im Jahr 2030 schätzt.

Kulturwandel in der Ernährung mit alternativer Landwirtschaft - naturnah und regional

Agritech oder selbstbestimmte Bio-Bauern?

Werden die neuen Technologien ihre Versprechen einlösen, oder sind zumindest manche davon der untaugliche Versuch, Probleme mit einer Denkweise zu lösen, die diese Probleme erst geschaffen hat? Jemand wie Dr. Vandana Shiva, Trägerin des Alternativen Nobelpreises, vermutet wohl eher letzteres. Mit ihrer Organisation „Navdanya“ sieht sie sich als Interessensvertreterin kleinbäuerlicher Familienbetriebe vor allem in Entwicklungs- und Schwellenländern: über 500 Millionen Betriebe weltweit, der Großteil davon in Asien, die über 50% der Nahrung produzieren. Das Credo von Navdanya: Statt auf Agritech und die Abhängigkeit davon zu setzen – Rückbesinnung auf traditionelle, regionale Nutzpflanzen in ihrer ganzen Vielfalt; biologische, dem jeweiligen Naturraum angepasste Anbaumethoden; Erhalt der biologischen und kulturellen Diversität; Stärkung regionaler Sozialstrukturen und Märkte. Manchmal brauchen Wandel und Fortschritt vielleicht auch einen Blick zurück, um wirklich Sinn zu machen.

Quellen und weiterführende Informationen

Dieser Beitrag ist es wert, geteilt zu werden: